Er arbeitete für ein Pharmaunternehmen und brachte oft Proben, Pillen, Fläschchen und Pakete mit nach Hause. Ich bewahrte sie meist in einer schwarzen Tasche auf. Ich wusste, dass alles für die Ärzte bestimmt war, deshalb rührte ich sie nie an.
Aber meine Schwiegermutter betrachtete die Tüte, als kenne sie den Inhalt besser als ich. „Was sind das für Gläser?“, fragte sie einmal etwas zu lässig. „Beruhigungsmittel? Babys schlafen damit besser.“
„Das ist für Erwachsene“, antwortete ich scharf. „Denk nicht mal dran.“ Sie lachte nur.
Damals ahnte ich noch nicht, dass meine siebenjährige Tochter bereits misstrauisch war. Tanya war schon immer aufmerksam und ruhig gewesen. Sie sah mehr als Erwachsene und konnte schweigen, wenn sie wusste, dass ihr niemand glauben würde.
Mehrmals blieb sie an den Tagen, an denen Oma kam, um zu helfen, lange zu Hause. Sie tat so, als hätte sie Bauch- oder Kopfschmerzen, aber ihre Augen verrieten ihre Besorgnis. „Mama“, flüsterte sie abends, wenn ich sie zudeckte, „Oma macht den Kindern gut zu essen.“
Natürlich, log ich, strich ihr übers Haar. Sie hat Erfahrung. Aber du machst es anders.
Ich habe ihre Worte damals nicht ernst genommen. Kinder bemerken oft Details, die Erwachsene für Fantasie halten. Aber jetzt verstehe ich, dass sie uns warnen wollte.
Meine Schwiegermutter wurde mit der Zeit immer unverschämter. Sie verbarg ihren Ärger nicht, als ich die Kinder das erste Mal hochhob, als sie weinten. So werden sie launisch, wenn sie groß werden.
Kindern muss Schweigen beigebracht werden. „Bring ihnen Schweigen bei“ war ihr Lieblingsspruch. Damals dachte ich, es sei nur eine Metapher.
Genau das war ihr Plan. Sie musste beweisen, dass ihre schwache und unfähige Mutter nicht zurechtkam. Die Kinder brauchten guten Schlaf, und wenn das bedeutete, dass sie Medikamente nehmen musste, dann war das eben so.
Und ich versuchte immer noch, sowohl meinem Mann als auch seiner Mutter zu gefallen. Ich glaubte immer noch, dass ihre kalten Augen warm werden würden, wenn ich es versuchte. Der Donnerstag begann ruhiger als sonst.
Mein Mann brach vor Tagesanbruch auf eine Geschäftsreise auf und ließ seine schwarze Tasche mit Medikamentenproben in der Küche stehen. Er warf sie immer auf den Tisch, als wäre sie nutzlos, obwohl ich ihn gebeten hatte, sie von den Kindern fernzuhalten. Gegen 5 Uhr morgens wachte ich mit einem seltsamen Gefühl auf.
Kein Schreien, kein Weinen, nur Stille. In den letzten drei Monaten hatte ich mich daran gewöhnt, dass immer, wenn nicht der eine, der andere aufwachte und nach Aufmerksamkeit, Essen und Wärme verlangte. Aber dieses Mal nichts.
Die Stille war erschreckend. Ich stand auf, in meinen Bademantel gehüllt. Die Tür zum Kinderzimmer stand halb offen und schien zu weit.
Ich erinnerte mich noch genau daran, es am Vortag zugedeckt zu haben. Das Zimmer roch nach Milch und Babycreme. Ich war der Erste, der sich Ivans Kinderbett näherte.
Sein Gesicht war unbeweglich. Seine Lippen waren blau. Seine kleine Brust hob sich nicht.
Nein, nein. Ich packte ihn, eiskalt, und schrie so laut, dass mir die Ohren dröhnten. Nikita lag einfach nur da …
Mein Mann kam eine Minute später an, benommen von den Schreien. Er versuchte, sie wiederzubeleben, schnappte nach Luft, als könnte er sie dadurch wiederbeleben. Mit zitternden Fingern wählte ich nervös die 103.
Wie alt sind sie? Atmen sie? Die Stimme des Disponenten klang ruhig, als würde man sie durch Watte hören. Ich antwortete stockend und konnte mich selbst kaum verstehen. Der Krankenwagen kam schnell.
Uniformierte Männer füllten den Raum, stellten Taschen ab, öffneten Ampullen und pumpten rhythmisch die Brüste meiner Kinder. Ich sah zu und konnte an ihren Gesichtern erkennen, dass es nicht mehr um ihre Rettung ging, sondern um uns, darum, dass wir uns nicht völlig im Stich gelassen fühlten. Um 5:23 Uhr erklärten sie beide für tot.
Plötzlicher Kindstod, hieß es später. Er ist selten, kommt aber vor, besonders bei Zwillingen. Wenn einer von ihnen aufhört zu atmen, kann es beim anderen auch so sein.
Die Worte klangen klinisch trocken, wie eine Diagnose, doch für mich waren sie wie Hohn. Ich glaubte es nicht. Aber ich hatte nicht die Kraft, zu widersprechen.
Eine Stunde später kam meine Schwiegermutter. Niemand hatte angerufen, und das machte mir wirklich Sorgen. Sie kam herein und umarmte meinen Sohn, als wäre er der Einzige, der etwas Wichtiges verloren hatte.
Mein armer Junge, nicht unsere armen Enkel, nicht unser Verlust. Alles drehte sich um ihn. Ich stand wie ein Schatten neben ihm.
Ich wollte sie wegwerfen, doch mein Mann saß regungslos da, den Kopf an ihrer Schulter vergraben. Er würdigte mich nicht eines Blickes. Von da an verschwammen die Tage zu einem einzigen schwarzen Knäuel.
Die Beerdigungsvorbereitungen, die seltsamen Stimmen, der Duft von Blumen, Papieren, Unterschriften. Sie hatte alles im Griff. Und ich lauschte ihrer Stimme, immer und immer wieder, lauter als meine.
Am wichtigsten war, dass ich den Blick meiner Tochter immer öfter erhaschte. Ihre Augen sagten mehr als Worte; sie wusste es. Sie sah etwas.
Doch dann, in diesem Wirbelsturm der Trauer, verstand ich nicht genau, was. Damals war ich zu am Boden zerstört, um zu begreifen, dass die Wahrheit bereits da war, in winzigen Kinderhänden, bereit, hervorzubrechen. Die Beerdigung begann an einem grauen Morgen …
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