Wir bitten darum, dieses Dokument nicht als Rechtfertigung zu betrachten, sondern vielmehr als Aufklärung eines Missverständnisses. Er öffnete einen beigefarbenen Ordner und legte dem Richter einen Kontoauszug vor. Es handelt sich um den Kontoauszug von Frau Miriam Gutiérrez für die letzten drei Jahre. Hinweis: Der Posten „Ausgaben“ entspricht den Unterhaltszahlungen, die Tomás Herrera vor seinem Militärdienst erhalten hatte. Im Gerichtssaal herrschte Stille. Tomás runzelte leicht die Stirn. Der Anwalt fuhr fort. „Zwischen Juli letzten Jahres und Januar dieses Jahres hat Frau Miriam über 74.000 Pesos aus dem Fonds abgehoben.“
Ihre Spesenabrechnung enthält jedoch keine Ausgaben für Bildung, Gesundheitsversorgung oder Kinderbetreuung. Stattdessen sind Zahlungen für Kosmetika, Möbel und zwei Reisen nach San Cristóbal de las Casas enthalten. Miriams Hände umklammerten die Stuhlkante. Ihr Gesicht erbleichte. Der Staatsanwalt erhob sich. Er sagte nichts weiter, sondern legte lediglich eine Kopie der Spesenabrechnung anhand der Quittungen vor. Wie also rechtfertigt die Angeklagte die Verwendung des Kinderbetreuungsfonds für persönliche Ausgaben?
Zrenia fragte den Richter. Yolanda öffnete den Mund, doch es kam kein Ton heraus. Sie sah Tomás an, als suchte sie nach einer rettenden Reaktion, doch er blieb stumm, die Hand auf dem Kleid seiner Tochter. „Wir betrachten nicht nur das Handeln des Staatsanwalts, sondern auch seine Absichten. Und seine Absicht war nicht, zu fördern, sondern auszubeuten. Das war keine Liebe, das war Gefangenschaft.“ Don Pedro senkte den Kopf und flüsterte etwas, das wie ein Gebet klang.
Leticia ballte die Hände zu Fäusten, und Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie weinte nicht laut. Niemand im Gerichtssaal weinte. Weder Tomás noch die anderen, die mit der Geschichte vertraut waren, weinten, um den Schmerz zu verstehen. Nach einer Beratung verkündete der vorsitzende Richter das Urteil. Die Angeklagte, Miriam Gutiérrez, wurde wegen Kindesmissbrauchs, Missbrauchs von Sozialleistungen und vorsätzlicher Zufügung bleibender psychischer Schäden zu zwölf Jahren Gefängnis ohne Bewährung verurteilt.
Tomás stand auf, ohne in die Hände zu klatschen oder den Kopf zu senken, hob sein Kleid und verließ den Raum durch die Tür. Auf der Treppe, neben dem Eisentor, stand ein kleines Fahrrad. Alma saß darauf. Sie hatte seit den frühen Morgenstunden auf ihn gewartet. Tomás war nicht überrascht. „Ist dir kalt?“, fragte er. „Nein, ich wollte nur sichergehen, dass du vorher gehst“, antwortete Alma ohne zu zögern. Tomás legte das Kleid in den Fahrradkorb und strich ihr dann sanft über den Kopf.
Lass uns nach Hause gehen. Ja. Alma antwortete nicht, sie nickte nur. Und auf dem kleinen Platz vor dem Gerichtsgebäude lachte niemand. Auch schrie niemand. Aber alle Anwesenden sahen zu, genau wie du, der Vater, der nicht mit Worten gewinnen muss, und das Mädchen, das nicht weinen muss, um gehört zu werden, weil Gerechtigkeit manchmal einfach Gerechtigkeit braucht. Man sagt, es gibt Winde, die nicht nur über die Dächer wehen, sondern auch das wegfegen, was man für immer zu halten glaubte.
Tomás wusste, dass dies keine Poesie war, sondern die Art und Weise, wie die Ältesten von San Nicolás del Enino ausdrückten, was sie nicht verstanden, was sie schon zu lange durchgemacht hatten. Er wollte nach dem Prozess nicht gleich nach Hause gehen. Er hielt an einem alten Dorfladen an und kaufte zwei Säcke Reis, ein Bündel Gemüse und ein kleines Säckchen weiße Kreide. Niemand fragte ihn, warum er die Kreide benutzt hatte; alle sahen ihn nur an, nickten und grüßten. Schweigen kann auch eine Form der Reue sein, manchmal mächtiger als Vergebung.
Alma erwartete ihn auf der Veranda. Sie fragte nicht nach den Ergebnissen, sondern nahm einfach ihre Taschen an die Hand und ging in die Küche, als wäre es ein ganz normaler Tag. Auch Tomás sagte nichts. Manche Dinge muss man nicht benennen, um sie mit dem Herzen wertzuschätzen. Das alte Haus hatte noch seine Grundmauern. Die Steine ragten aus dem Boden, als würden sie atmen. Tomás hatte die zerbrochenen Dachziegel entfernt, die morschen Balken abmontiert und hinter sich gestapelt. Er hatte nichts behalten, was ihn an Miriam erinnerte – keine verblichenen Bilderrahmen, keine High Heels, die einst sein Elternhaus gewesen waren.
Alma, besonders die geblümten Vorhänge, zwangen sie, die Welt auszuspionieren, als wäre sie schuldig, zu existieren. Er verbrannte sie. Das Feuer brannte nicht wie im Film, aber der Geruch von brennendem Stoff vermischt mit alter Asche ließ alle wegschauen. Alma ging wortlos zu ihm und setzte sich neben ihn. Nach einem Moment fragte sie leise: „Papa, kann ich Elisa das Alphabet beibringen? Sie kann immer noch nicht D von B unterscheiden.“ Tomás antwortete nicht sofort.
Er blickte ins Feuer, dann in die Augen seiner Tochter. Dort waren keine Tränen mehr, nur Schüchternheit wich Entschlossenheit. Er nickte. Es war eine leichte Geste, doch Alma verstand sie als Versprechen. Ihr Vater würde sie nie wieder im Stich lassen. Die erste Unterrichtsstunde fand an einem windigen Tag statt. Tomás suchte sorgfältig ein sonniges Grundstück hinter dem Haus aus. Mit Hilfe der Nachbarn rammten sie Schilf in den Boden, hängten eine Plane als Dach auf und bauten einen Schreibtisch aus recycelten Brettern.
Keine Fragen zu Bezahlung oder Bedingungen. Einer brachte einen Hammer mit, ein anderer Nägel, der Rest schaute einfach zu. Doch am nächsten Tag stellte sie eine Flasche Zuckerwasser am Eingang ab. Am Eröffnungstag saßen fünf Kinder in einer Reihe, die Hände auf den Tischkanten, die Augen weit geöffnet, als wäre es noch Sommer. Alma stand vor einer Bambustafel, ein Stück Kreide zwischen den Fingern, als wäre es ein Zauberstein. Sie sah Tomás an, holte tief Luft und sagte langsam: „Mein Name ist Alma.“
Früher lebte ich mit Schweinen, heute lebe ich mit Büchern. Leises Lachen und Gemurmel darüber, wie hübsch sie sei, erklang. Doch Tomás wandte sich diskret ab, als hätte er Staub in den Augen. Niemand benennt das Gefühl, aber alle verstehen es. Mittags, als der Wind drehte, betrat ein Mann den Hof. Er trug ein altes T-Shirt, verwaschene Jeans und einen gefalteten Strohhut in der Hand. Er klopfte nicht an die Tür und ging auch nicht direkt zum Unterricht; er stand einfach nur still da, als warte er auf eine Gelegenheit, zurückzukehren.
Tomás, der sich im Hof die Hände wusch, blickte auf und begegnete seinem Blick. Einen Moment lang war die Luft still. „Sind Sie Don Tomás Herrera?“, fragte Zrenia den Mann mit klarer, aber ruhiger Stimme. „Ja. Wen suchen Sie? Ich bin Simón.“ Der Name ließ Tomás kurz innehalten und ihn mustern. Er musterte sein Gesicht, seine dünnen, gebräunten Hände mit einer beunruhigenden Vertrautheit. „Sie sind Miriams Sohn.“ Der Mann nickte. „Ich bin nicht gekommen, um mich zu beschweren. Ich möchte nur Alma sehen, wenn möglich.“
Tomás ballte kurz die Faust, ließ sie dann los und bedeutete ihr, ohne eine Spur von Emotionen einzutreten. Alma räumte gerade den Tisch ab. Als sie den Fremden sah, wich sie instinktiv einen Schritt zurück. Tomás legte ihr zum Zeichen der Ruhe eine Hand auf die Schulter. „Das ist Simón. Das ist Doña Miriams Sohn – das ist in gewisser Weise dein Bruder.“ Alma sagte nichts. In ihren Augen lag keine Angst, nur Vorsicht, als würde sie ein neues Kapitel aufschlagen und wüsste nicht, wo sie anfangen sollte.
Simon setzte sich, ohne zu unterbrechen. Als Alma zur Tafel zurückkehrte, um das C zu schreiben, murmelte er: „Meine Mutter hat mich verlassen, als ich drei war. Ich erinnere mich nicht an ihr Gesicht, aber ich habe gehört, sie hatte eine Tochter, die San Nicolás del Enino besuchte. Ich wollte nicht zurückgehen, ich wollte dir nur sagen, dass du nicht der Einzige bist, der noch übrig ist.“ Alma drehte sich nicht um, doch der Stoff zitterte einen Moment. Tomás schwieg. Niemand versuchte, die Zusammenhänge zu verstehen, man ließ das Geständnis einfach für sich stehen.
Wie ein Echo zwischen zwei Kindern, aufgewachsen in unterschiedlichen Winkeln derselben Wunde. An diesem Nachmittag verabschiedete sich Simon. Bevor er ging, ließ er ein Notizbuch auf dem Tisch liegen. Was auch immer du schreibst, lass es hier. Ich werde dich nicht belästigen. Ich möchte nur wissen, ob es dir gut geht. Tomás nickte. Es gab keine Umarmungen oder unbeholfene Händedrücke, nur ein stilles Wiedererkennen zwischen zwei Männern, zurückgelassen von derselben Frau. Alma saß auf der Treppe, die Nachmittagssonne schien auf ihr weiches Haar.
Er wollte nicht fragen und sagte einfach: „Papa, wie schreibt man Simon?“ Thomas erlaubte sich ein leises, aber freudiges Lachen. Schreib es auf, wie es klingt. Das Wichtigste ist, dass du dir seinen Namen merkst. Die Dorfältesten sagen, der erste Wind sei immer kalt, aber wenn ein Feuer in deinem Herzen brennt, kann es überall warm sein. Thomas wollte nicht an Philosophen glauben, aber er glaubte an Almas kleine Hand, die einst mit Schlamm bedeckt war und nun die Tinte hielt, mit der er seine Zukunft schrieb.
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