
Ein Vater kehrte aus der Armee zurück und fand seine Tochter schlafend im Schweinestall vor. Niemand hatte mit seiner Reaktion gerechnet …
„Ich will das nicht aus Rache nutzen. Ich möchte einen Ort für Kinder wie Alma und dich schaffen.“ Simon sagte nichts, aber zum ersten Mal hatte er das Gefühl, dass ihn niemand als lästig empfand. „Simon, was hältst du davon, wenn wir es San Nicolás-Unterstützungsfonds nennen?“ Simon nickte. „Kauf die Bücher und das Essen, und ich kümmere mich um den Papierkram – wenn du mir vertraust.“ Don Tomás lächelte schwach. „Natürlich vertraue ich dir. Seit du das Abendessen ausfallen ließest und es bei der Hütte des behinderten Mädchens am Bach abgestellt hast.“
Simon senkte den Blick, reagierte nicht. In den folgenden Tagen trafen immer mehr Leute aus der Stadt in der Schule ein. Zuerst nur eine Handvoll neugieriger Eltern. Dann kamen Mütter und Großeltern und brachten Reis, Hefte und sogar gekochtes Hühnchen mit. Don Tomás weigerte sich, etwas zu bezahlen. Am Eingang hing ein verkohltes Holzschild: „Wir schreiben uns aus Vertrauen, nicht wegen der Fracht.“ Kinder rannten auf dem Erdhof umher, und Alma lachte jedes Mal, wenn sie sie „Lehrerin“ nannten. Manche brachten Welpen mit, andere zogen alte Schubkarren voller Schulbänke.
Für sie war es ihre erste Schule. Nachts glänzte der Mond wie Silberfolie. Sanft wehte der Wind über die neuen Fliesen. Simon stand allein am Holztisch, ein offenes Notizbuch und einen kleinen Bleistift in der Hand. Die Klassenzimmertür stand halb offen. Don Tomás kam mit einem Glas Wasser herein. „Kannst du heute Nacht nicht schlafen?“ Simon nickte, ohne aufzusehen. Don Tomás setzte sich ihm gegenüber. „Ich glaube, du weißt, was los ist.“
Simóns Gesicht verfinsterte sich. In dem Brief, den er aus dem Gefängnis geschickt hatte, hatte er jemanden gebeten, die kleine Schule niederzubrennen. Ich habe sie alle gelesen. Ich werde nicht antworten. Und ich werde auch nicht die Polizei rufen. Simón blickte auf, und zum ersten Mal war seine Stimme fest und scharf. „Sie ist meine leibliche Mutter, aber ich schulde ihr nichts.“ Tomás nickte. „Was auch immer du tun willst, du hast das Recht dazu. Ich werde dich nicht unter Druck setzen.“ Sie schwiegen beide einen Moment lang.
Die Nacht ging weiter, leises Zirpen der Grillen auf der Terrasse, und das Mondlicht warf sein Licht auf den alten Holztisch. Simon legte sein Notizbuch in eine Schublade, schloss sie ab und holte dann den Schlüsselanhänger, den Alma ihm gegeben hatte, aus der Tasche. Er zeigte ihn Tomás und sagte leise: „Ich behalte ihn nicht, weil er schön ist. Ich behalte ihn, weil es das erste Mal war, dass mich jemand zur Familie zählte.“ Tomás antwortete nicht; er klopfte ihm sanft auf die Schulter.
Es kommt der Moment im Leben eines jeden Menschen, in dem er erkennt: Kein Blut kann alles entscheiden, aber eine ausgestreckte Hand im richtigen Moment kann eine Seele retten, und diese Seele wird eines Tages die Flamme des Guten am Leben erhalten, damit sie niemals erlischt. Die Türen des kleinen Schulhauses standen die ganze Nacht offen. Der Wind blies durch die Ritzen in den Brettern, doch das Licht hörte nie auf. Es kam nicht von einer Glühbirne, sondern von Dingen, für die es keine Namen gab.
Niemandem fiel auf, dass sich die Blumen vor Tomás’ Haus verändert hatten. Sie sahen nicht mehr so verwelkt aus wie im letzten Jahr, glänzten aber auch nicht mehr so prächtig. Lila Blüten öffneten sich in kleinen Büscheln und fielen hier und da auf die ausgedörrte Erde. Daneben zeigten Reihen zarten Maises, inzwischen so groß wie ausgewachsene Ähren, die ersten Kolben und kündigten eine vielversprechende Ernte an. Im Haus tickte die alte Pendeluhr an der Wand nicht mehr so regelmäßig.
Ihre Nadel zitterte oft und wich einen halben Schritt zurück, als wolle auch sie einen Moment innehalten, um die unter diesem Dach verbrachten Augenblicke zu verewigen. Alma sagte, die Uhr sei wie die Zeit ihres Vaters. Sie raste nicht, sie ließ niemanden zurück. Dieser Morgen begann mit dem leisen Klappern von Keramiktellern. Simón reinigte sorgfältig jeden Holzlöffel, während Alma die Hausaufgaben für den Tag mit Bleistift notierte. Tomás legte sorgfältig eine Einladung aus der Nachbarstadt auf den Tisch.
Er verstaute den Brief in einem Notizbuch. Darin wurde er gebeten, eine Ehrenauszeichnung, ein Diplom für seine Arbeit im ländlichen Bildungswesen und eine kleine Geldprämie anzunehmen. Doch Tomás antwortete nicht. Stattdessen setzte er sich an einen Bambustisch und schrieb einen weiteren Brief an einen kleinen Jugendverein in Veracruz, der einst den Wunsch geäußert hatte, arme Kinder zu unterrichten. „Wir brauchen keine Diplome; wir brauchen Menschen, die einem Kind in die Augen sehen und verstehen, warum es gehört werden sollte.“
Die Kinder versammelten sich draußen. Ihre Stimmen waren schon von weitem zu hören, das Scharren ihrer Sandalen auf dem Boden, Gelächter vermischt mit Gebell. Der Hof der Herreras war nicht mehr nur ein Ort, um Buchstaben zu lernen, sondern ein Zufluchtsort, an dem sich die armen Kinder wieder zu Hause fühlten. Jedes hatte seine eigene Geschichte, doch alle hatten etwas gemeinsam. Niemand wollte vergessen werden. Alma stand mit einem Stück abgenutzter weißer Kreide vor der Tafel und sagte mit klarer, süßer Stimme: „Heute lernen wir den Buchstaben S.“
Es ist ein Seufzer, und doch ist es Solidarität. Der Junge hob die Hand. „Warum beginnt man Solidarität mit einem Seufzer, Lehrerin?“ Sie zögerte einen Moment, dann lächelte sie. „Weil wir manchmal erst lieben lernen, wenn wir große Trauer durchlebt haben.“ Tomás verließ das Haus in einem alten, verblichenen T-Shirt und mit einem Korb frisch gepflückter Mangos. Er stellte ihn auf den Bambustisch. Er unterbrach den Unterricht seiner Tochter nicht; er saß einfach im Hintergrund und hörte zu.
Auch Don Pedro, der alte Mann, der die Samen verkaufte, hatte von diesem Tag gehört. Er saß am Rand des Hofes und kaute auf einem Stück Zuckerrohr, die Augen geschlossen, als würde er dösen. Doch als Alma Sorjuanas Gedicht zu Ende rezitierte, klatschte er als Erster. „Das Mädchen liest wie Wasser, das über Steine fließt“, murmelte er. So sanft, dass man die Narben nicht einmal spürt. Nach der Hälfte der Stunde stellte Simón eine selbst gebastelte Holzpuppe vor den Raum.
Simon, der zuvor ein stilles Leben geführt hatte, sprach nun morgens als Erster und begann mit dem Schlagzeugunterricht. Tomás konnte seinen Stolz nicht verbergen. Er wandte sich an Doña Clotilde, die oft süßes Brot zum Teilen mitbrachte, und flüsterte: „Manchmal denke ich, Kinder müssen uns gar nicht so viele Vorträge halten; sie brauchen einfach keine Angst zu haben.“ Die alte Frau nickte und strich sich den Schal glatt. Niemand wird erwachsen, wenn er jeden Morgen aufwacht und nicht weiß, wo er essen oder mit wem er lernen wird.
Nachts warf das Kinqué-Licht flackernde Schatten an die Decke. Tomás setzte mich zwischen Alma und Simón, während die beiden anderen Kinder jeweils mit einer Schüssel Gemüsesuppe auf den gegenüberliegenden Seiten des Tisches saßen. Sie sprachen nicht über die Vergangenheit. Niemand erwähnte Miriam. Niemand fragte Tomás nach der Armee, dem Krieg, der Nacht, die ihr Leben veränderte. All das blieb hinter der nun geschlossenen Tür. Alma reichte ihrem Vater ein Stück Tortilla mit einem Ei.
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