Ich nickte. Dann machte ich das Licht aus und tat so, als würde ich einschlafen.
Doch etwas tief in mir – ein Hauch von Intuition – ließ mich nicht ruhen.
Ich stand leise auf, schlich auf Zehenspitzen in den Flur und schaute in die Küche.
Ethan stand mit dem Rücken zu mir an der Theke und summte leise.
Ich sah zu, wie er warmes Wasser in mein normales Glas goss, eine Schrankschublade öffnete und eine kleine Bernsteinflasche herausnahm.
Er goss vorsichtig ein, zwei, drei Tropfen einer klaren Flüssigkeit in mein Glas.
Dann fügte er Honig und Kamille hinzu und rührte um.
Ich erstarrte. Mein Magen verkrampfte sich. Mein Herz hämmerte gegen meine Rippen.
Als er fertig war, trug er das Glas nach oben zu mir.
Ich eilte zurück ins Bett und tat so, als ob ich schliefe.
Er reichte mir das Getränk und lächelte.
„Bitte, Schatz.“
Ich tat so, als würde ich gähnen, nahm das Glas und sagte, ich würde es später austrinken.
In dieser Nacht, als er einschlief, goss ich Wasser in die Thermoskanne, schloss sie und versteckte sie im Schrank.
Am nächsten Morgen ging ich direkt in eine Privatklinik und gab die Probe einem Labortechniker.
Zwei Tage später rief mich der Arzt zurück.
Er sah besorgt aus.
„Mrs. Carter“, sagte er vorsichtig, „was Sie getrunken haben, enthält ein starkes Beruhigungsmittel. Wenn es jeden Abend eingenommen wird, kann es zu Gedächtnisverlust, Sucht und kognitivem Abbau führen. Wer auch immer Ihnen das gibt … versucht nicht, Ihnen beim Schlafen zu helfen.“
Der Raum drehte sich.
Sechs Jahre – sechs Jahre sanftes Lächeln, weiche Hände und geflüsterte Zuneigung – und ich war die ganze Zeit berauscht
Ich habe in dieser Nacht kein Wasser getrunken.
Ich habe gewartet.
Ethan ging zu Bett, bemerkte das intakte Fenster und runzelte die Stirn.
„Warum hast du es nicht getrunken?“
Ich sah ihn an und lächelte leicht.
„Mir ist heute nicht nach Schlafen zumute.“
Er zögerte, beugte sich dann aber näher und sah mir in die Augen.
„Wenn Sie das trinken, werden Sie sich besser fühlen. Vertrauen Sie mir.“
Ich begegnete seinem Blick – und zum ersten Mal sah ich etwas Kaltes hinter seinem sanften Gesichtsausdruck aufblitzen.
Am nächsten Morgen, während er bei der Arbeit war, schaute ich in die Küchenschublade. Die Flasche war immer noch da – halb leer, ohne Etikett.
Meine Hände zitterten, als ich sie in eine Plastiktüte steckte und meinen Anwalt anrief.
Innerhalb einer Woche habe ich diskret ein Bankschließfach eingerichtet, das Geld überwiesen und die Schlösser an meinem Strandhaus ausgetauscht.
Eines Abends setzte ich mich mit Ethan zusammen und erzählte ihm, was der Arzt entdeckt hatte.
Er schwieg lange.
Dann seufzte er – nicht aus Schuld, nicht aus Scham, sondern aus Frustration, wie jemand, dessen geheimes Experiment fehlgeschlagen war.
„Du verstehst das nicht, Lillian“, sagte er leise. „Du machst dir zu viele Sorgen, du denkst zu viel nach. Ich wollte dir nur helfen, dich zu entspannen und nicht mehr unter Stress zu altern.“
Seine Worte ließen mir einen Schauer über den Rücken laufen.
„Indem du mir Drogen gibst?“, blaffte ich. „Indem du mich in eine Marionette verwandelst?“
Er zuckte leicht mit den Schultern, als ob er das Problem nicht sähe.
Das war die letzte Nacht, die er unter meinem Dach verbrachte.
Ich habe die Annullierung meiner Ehe beantragt.
Mein Anwalt half mir, einen Gerichtsbeschluss zu erwirken, und die Behörden beschlagnahmten die Flasche als Beweismittel. Es stellte sich heraus, dass es sich bei der Substanz um ein rezeptfreies Beruhigungsmittel mit Suchtpotenzial handelte.
Dann verschwand Ethan aus meinem Leben.
Doch der Schaden blieb bestehen – nicht in meinem Körper, sondern in meinem Vertrauen.
Monatelang wachte ich mitten in der Nacht auf und hatte Angst vor jedem Geräusch, jedem Schatten.
Aber langsam begann ich mich zu erholen.
Ich verkaufte mein Stadthaus und zog dauerhaft in eine Villa am Meer – der einzige Ort, der mir noch gehörte.
Jeden Morgen gehe ich mit einer Tasse Kaffee durch den Sand und erinnere mich:
„Freundlichkeit ohne Ehrlichkeit ist keine Liebe.
„Fürsorge ohne Freiheit ist Kontrolle.“
Drei Jahre sind vergangen.
Ich bin jetzt 62 Jahre alt.
Ich leite kleine Yoga-Kurse für Frauen über 50 – nicht für die Fitness, sondern für Kraft, Frieden und Selbstachtung.
Manchmal fragen mich meine Schüler, ob ich wieder an die Liebe glaube.
Ich lächle.
“Natürlich.
Aber jetzt weiß ich, dass es bei der Liebe nicht darum geht, was dir jemand gibt, sondern darum, was er dir nicht wegnimmt.“
Von nun an bereite ich mir jeden Abend vor dem Schlafengehen ein Glas warmes Wasser zu – mit Honig, Kamille und sonst nichts.
Ich halte es meinem Spiegelbild vor und flüstere:
„Lasst uns auf die Frau trinken, die endlich aufgewacht ist.
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