Ich war 62, als ich mich verliebte … Und dann hörte ich zufällig, wie er mit seiner Schwester sprach.
Ich hätte mir nicht vorstellen können, mich mit sechzig so zu verlieben wie mit zwanzig. Mit Gänsehaut in den Fingern und roten Wangen. Meine Freunde lachten, schüttelten den Kopf, und ich strahlte innerlich. Sein Name war Wiktor, etwas älter als ich – ein ruhiger, intelligenter Mann mit samtiger Stimme und freundlichen Augen. Wir trafen uns zufällig: Es gab einen Kammermusikabend im Stadthaus, und in der Pause saßen wir nebeneinander. Wir kamen ins Gespräch und merkten sofort, dass wir auf der gleichen Wellenlänge waren.
Dieser Abend war von außergewöhnlicher Frische erfüllt. Leichter Sommerregen vor dem Fenster, der Duft nasser Linden, Pfützen auf dem Asphalt… Ich kehrte mit dem Gefühl nach Hause zurück, als hätte ein neues Kapitel in meinem Leben begonnen.
Wiktor und ich trafen uns bald oft. Wir gingen ins Theater und in Cafés und unterhielten uns über Bücher und Filme. Er erzählte von seinem Leben, ich von meinem, vom Witwerdasein und davon, wie lange Einsamkeit einen lehren kann, still zu sein und geduldig zu ertragen. Und dann schlug er vor, zu seinem Häuschen am See zu fahren. Ich willigte ein.
Dieser Ort war wie ein Märchen: Kiefern, die sich bis zum Himmel reckten, ruhiges Wasser, die Sonne, die durch das Laub des Waldes schien. Wir verbrachten mehrere wunderschöne Tage dort. Doch eines Nachts sagte Wiktor, er müsse dringend in die Stadt – seine Schwester sei in Schwierigkeiten. Ich blieb allein zurück. Dann vibrierte sein Handy auf dem Tisch. Auf dem Display stand: „Marzena“. Ich berührte das Gerät nicht, doch Angst packte mich.
Als er zurückkam, fragte ich vorsichtig, wer Marzena sei. Wiktor antwortete mit einem leichten Lächeln: seine Schwester. Sie war krank, hatte Schulden, und er half ihr. Alles wirkte aufrichtig. Doch von diesem Tag an reiste er immer häufiger, als würde ihn etwas von mir wegziehen. Anrufe von „Marzena“ wurden regelmäßig. Es war schwer, sie zu ignorieren. Aber ich schwieg. Ich hatte Angst, mein zerbrechliches Glück zu zerstören.
Eines Nachts wachte ich auf. Er war nicht da. Durch die halb geöffnete Tür hörte ich seine Stimme in der Küche:
„Marzena, bitte, warte noch ein bisschen… Nein, sie weiß nichts. Sie hat es noch nicht herausgefunden. Ich werde alles herausfinden, ich brauche nur Zeit…“
Ich erstarrte. „Sie weiß nichts“ – das bezog sich offensichtlich auf mich. Aber was weiß ich nicht? Was verbirgt er? Ich legte mich wieder hin und stellte mich schlafen, als er zurückkam. Mein Herz raste.
Am Morgen ging ich in den Garten – angeblich, um Beeren zu pflücken, aber eigentlich, um frische Luft zu schnappen und nachzudenken. Ich rief eine Freundin an:
„Nina, ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich glaube, sie verheimlicht mir etwas. Ich habe Angst, es herauszufinden … schon wieder eine Lüge.“
Nina schwieg und sagte dann einfach:
„Frag. Du kannst nicht mit ihm leben, ohne die Wahrheit zu kennen. Und wenn die Wahrheit wehtut, bedeutet das, dass es sich gelohnt hat, sie herauszufinden.“
Als Wiktor von seiner „Reise“ zurückkam, nahm ich allen Mut zusammen.
„Viktor, ich habe euer Gespräch mitgehört. Du hast gesagt, ich wüsste nicht, was los ist. Bitte erzähl mir, was los ist.“
Er erbleichte. Dann seufzte er schwer.
„Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht anlügen. Marzena ist eigentlich meine Schwester. Sie hat sich schrecklich verschuldet. Ich habe alles, was ich besaß, verpfändet – sogar dieses Haus. Ich hatte Angst, dass du weggehen würdest, wenn du es herausfindest. Ich wollte dich einfach nicht verlieren.“
Es brannte in meinen Augen. Ich hatte das Schlimmste erwartet: ein Doppelleben, Betrug, Verrat. Doch es stellte sich heraus, dass er nur seine Schwester und uns retten wollte.
„Ich werde nicht gehen“, sagte ich leise. „Ich weiß nur zu gut, wie es ist, allein zu sein. Wenn du mir vertraust, schaffen wir das. Gemeinsam.“
Er umarmte mich fest. Und zum ersten Mal seit langer Zeit spürte ich, dass es das Risiko wert war, mein Herz zu öffnen. Später unterhielten Marzena und ich uns. Ich half ihr, ihre Dokumente zu organisieren und einen Anwalt zu finden. Wir wurden mehr als nur ein Paar – wir wurden eine richtige Familie.
Ich bin zweiundsechzig Jahre alt. Aber jetzt weiß ich ganz sicher: Das Alter ist kein Hindernis, wenn die Liebe in mir lebt. Das Wichtigste ist, keine Angst zu haben, auf sein Herz zu hören. Und jemanden zu haben, mit dem man auch die schlimmsten Zeiten überstehen kann. Denn nur gemeinsam und mit der Wahrheit ist Glück möglich.
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