Es war ein längerer und anstrengenderer Tag.
Auf dem Heimweg von der Arbeit sah ich eine ältere Frau, die mit einer Hand auf der Brust an einem Zaun lehnte und keuchte.
Zwei große Einkaufstüten liegen zu ihren Füßen.
Ich ging leise auf sie zu und fragte, ob sie Hilfe brauche.
„Danke, mein Sohn“, sagte sie schwach. „
Ich komme gerade vom Einkaufen zurück … Ich dachte, ich schaffe es, aber mein Herz ist nicht mehr so stark wie früher. Es ist nicht weit, nur ein kleines Stück weiter die Straße hinunter.“
Ich konnte sie nicht einfach dorthin zurücklassen.
Ich nahm ihre Taschen ab und ging neben ihr, hielt Schritt mit ihr, während sie zwischen den Sätzen nach Luft schnappte.
Sie erzählte mir, dass sie seit dem Tod ihres Mannes allein lebte, dass ihre Kinder sich nur selten meldeten und dass ihre kleine Rente kaum zum Leben reichte.
Ihre Worte klingen von einer stillen Traurigkeit, aber auch von einer herzzerreißenden Würde.
Ich konnte nicht anders, als Mitleid mit ihr zu empfinden.
Als wir an ihrem kleinen Haus am Stadtrand ankamen, lächelte sie schwach, bedankte sich und wünschte mir gute Gesundheit.
Ich stellte ihre Taschen vor der Tür ab, nickte und ging.
Ich hatte mir ihre Adresse nicht einmal notiert. Es war nur eine nette Geste, nicht mehr.
—
Doch am nächsten Abend, auf meinem Heimweg von der Arbeit, sah ich vor meinem Haus blinkende blaue und rote Lichter.
Polizeiwagen. Überall Polizisten.
Einer von ihnen trat vor und rief meinen Namen.
„Ja, ich bin’s“, antwortete ich verwirrt.
Er sah mich einen Moment lang an und sprach dann Worte, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließen:
— Sie sind ein Verdächtiger in einem Mordfall.
Mein Kopf war wie leergefegt. Welcher Mord?
Ich stammelte, ich hätte lediglich einer alten Dame beim Tragen ihrer Taschen geholfen, aber die Polizisten behaupteten, ich sei die letzte Person gewesen, die mit ihr gesehen wurde.
Sie zeigt mir die Aufnahmen der Überwachungskamera: Ich trug ihre Sachen und ging mit ihr in den Garten.
Es war die letzte Spur von ihr, als sie noch lebte.
Sie nahmen mich zum Verhör mit.
Stunde um Stunde wiederholte ich dasselbe: Ich hatte ihr geholfen und war dann gegangen.
Sie glaubten mir nicht.
Ich verbrachte die Nacht in einer Zelle, schlaflos, und ließ die Szene immer wieder vor meinem inneren Auge ablaufen. Ich fragte mich, wie eine einfache Geste der Freundlichkeit zu einem Albtraum werden konnte.
—
Am nächsten Morgen tauchten neue Beweise auf.
Eine weitere Person war später in der Nacht ins Haus eingedrungen: ihr eigener Sohn.
Nachbarn hatten Schreie gehört, aber nichts beachtet.
Er hatte mit ihr über Geld gestritten und sie in einem Wutanfall erwürgt, bevor er floh.
Seine Fingerabdrücke und die Spuren am Tatort überführten ihn zweifelsfrei.
Als die Polizei mich endlich freiließ, entschuldigte sich der Kriminalbeamte.
Doch das eisige Gefühl, das mich erfasst hatte, ließ mich nicht los.
Ohne die Kamera und die forensischen Beweise wäre ich womöglich für ein Verbrechen verurteilt worden, das ich nicht begonnen hatte – nur weil ich helfen wollte.