
Mein Bruder nannte mein Neugeborenes eine Schande. Er bemerkte nicht, wer hinter ihm stand und jedes Wort hörte. Als er sich umdrehte, verschwand sein Lächeln – und das war erst der Anfang.
„Wenn ich ihn persönlich kennen würde, würde ich wahrscheinlich noch lauter lachen“, antwortete er mit einem boshaften Funkeln in den Augen. „Du warst schon immer dumm und naiv. So habe ich dich davon überzeugt, dass du dein Geburtstagsgeld verschwendet hast, und so habe ich meine Mutter davon überzeugt, dass du ihr die Opioid-Pflaster gestohlen hast, als sie Krebs hatte.“
Eine dunkle, eisige Befriedigung durchströmte mich, als ich ihm zuhörte, wie er sein eigenes Schicksal schmiedete. Er war bereits dem Untergang geweiht, aber ich wollte es noch übertreiben.
„Sagst du das nur, weil ich jetzt ein Kind habe und du Angst vor Unfruchtbarkeit hast?“, fragte ich und zielte auf die tiefste Wunde, die er kannte.
Er explodierte. „Wie können Sie es wagen? Ich sage das, weil dieses Kind eine Schande ist! Wenn ich Kinder wollte, würde ich sie bekommen. Meine Frau tut, was ich sage. Unsere Eltern tun, was ich sage! Mein ganzes Leben lang habe ich bekommen, was ich wollte, und es wird nie enden!“
Es lief besser, als ich es mir je hätte vorstellen können. So perfekt, dass mir ein echtes, herzliches Lachen entfuhr. Es war ein raues, leicht unbehagliches Geräusch.
Ethans Gesicht war vor Wut verzerrt. „Was ist so lustig?“, rief er.
Ich antwortete nicht. Ich starrte einfach an ihm vorbei, auf das buchstäbliche Verderben, das ihn erwartete, sobald er sich umdrehte. Es war noch majestätischer, als ich es mir vorgestellt hatte.
„Was ist so lustig?“, rief er erneut.
Ich blickte noch einmal hinter ihn, diesmal deutlich, und bedeutete ihm mit dem Kopf, hinzusehen. Er drehte abrupt den Kopf, wahrscheinlich erwartete er, einen Arzt zu sehen, der ihn ausschimpfen würde.
Stattdessen sah er es.
Ich hatte noch nie erlebt, dass sich die Haut eines Menschen in Echtzeit veränderte, aber bei ihm war es so – von einem knalligen Rot zu einem blassen, kränklichen Grau. Im Flur standen mit grimmigen Mienen unsere Eltern, unser Familienanwalt mit einer ledernen Aktentasche in der Hand, seine Frau Jessica mit eisigem Gesichtsausdruck, sein Chef in der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und, als krönender Abschluss, Cheryl – seine Praktikantin, seine Partnerin in der Affäre, eine wunderschöne schwarze Frau, deren Anwesenheit seine rassistischen Tiraden in dem stillen Raum widerhallen ließ.
Er drehte sich langsam zu mir um, sein Mund stand offen. Jetzt filmte ich ihn, das Telefon hielt mich still. Tränen stiegen ihm bereits in die Augen, doch bevor er flehen konnte, trat unser Vater vor und schlug ihm ins Gesicht. Das Geräusch war ein scharfes, hässliches Knacken in der sterilen Stille des Krankenhauses.
Ethan griff sich schockiert an die Wange. Er wollte etwas sagen, doch der Anwalt drückte ihm ein dickes Dokument an die Brust und unterbrach ihn.
„Wurde ich … wurde ich aus dem Testament gestrichen?“, rief er, während sein Blick über die erste Seite schweifte.
„Nicht nur das“, fügte sein Chef mit verächtlicher Stimme hinzu. „Sie sind auch gefeuert.“
Ethans Mund öffnete und schloss sich wie ein Fisch auf einem Pier.
„Scheidung gehört auch dazu“, sagte Jessica, nahm ihren Ehering ab und tat so, als würde sie ihn ihm vor die Füße werfen. Mit einem leisen metallischen Geräusch rollte er über das Linoleum.
Mein Bruder war in diesem Moment buchstäblich auf den Knien und kroch, während seine Welt innerhalb von dreißig Sekunden zusammenbrach. Aber er wusste nicht, dass der größte, endgültige Schlag noch bevorstand.
Mein Schwiegervater, der kein Wort gesagt hatte, kam näher. Er holte eine alte silberne Taschenuhr heraus, öffnete sie und reichte sie Ethan. Darin lag ein kleines, verblasstes Foto.
„Es ist … es ist Samuel “, schluchzte Ethan.
„Er war bei mir. Er ist vor vier Monaten bei einem Luftangriff ums Leben gekommen“, sagte mein Schwiegervater mit leiser, drohender Stimme. Dann zeigte er mit steifem Finger auf mich.
Ich sah, wie sich die Puzzleteile in Ethans Kopf zusammenfügten, während die Angst in seinen Augen wuchs. Sein toter Freund, der Soldat, um den er angeblich trauerte, war mein Mann. Die „Statistik“, über die er sich lustig machte, war der Sohn seines Freundes.
Das war der Punkt, an dem es ihm nicht mehr weiterging. Er schlug um sich. Nicht nur auf mich, sondern, was noch wichtiger war, auf das Baby.
„Ich bring euch beide um! Es ist eure Schuld!“, schrie er, und sein Gesicht verzog sich zu einer purpurnen Maske der Wut. Dann tat er etwas, das ich nie vergessen werde. Er spuckte mir direkt ins Gesicht. Warme, klebrige Flüssigkeit klatschte mir auf die Wange, und ich erstarrte für den Bruchteil einer Sekunde, bevor mein Schwiegervater sich schneller bewegte, als ich je einen Menschen gesehen hatte. Seine Hand klammerte sich wie ein Schraubstock um Ethans Handgelenk und hielt ihn nur wenige Zentimeter von der Wiege entfernt gefangen.
Ethans anderer Arm fuchtelte wild um sich, und sein Ellbogen traf meinen Bauch, genau auf den Einschnitt. Ein stechender, weißer Schmerz durchfuhr mich, so stark, dass ich nicht atmen konnte.
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