
Mein Vater rief mich um Mitternacht mit zitternder Stimme an: „Geh nicht nach Hause. Bleib, wo du bist.“ Ich fragte nach dem Grund. Er sagte nur: „Bitte vertrau mir.“ Zehn Minuten später umstellten Polizeiautos meine Straße …
Die Worte meines Vaters klingen mir noch immer in den Ohren. Komm nicht nach Hause. Bleib, wo du bist. Bitte, vertrau mir. So etwas hatte ich ihm noch nie gesagt. Er war ein Mann, der seinen Lebensunterhalt damit verdiente, in brennenden Gebäuden zu rennen. Ein Mann, der vor Gefahr nie zurückschreckte. Und jetzt brach seine Stimme, als er Panik unterdrückte. Ich starrte aus der Ferne auf mein Haus, nur ein paar Straßen entfernt.
Ein Teil von mir wollte glauben, dass nichts war, dass Dad vielleicht überreagiert hatte, aber ein anderer Teil wusste, dass er mich nicht so genannt hätte, wenn nicht wirklich etwas nicht stimmte. Ich umklammerte das Lenkrad und haderte mit mir selbst. Warum sagte er das? Gab es ein Feuer? War jemand verletzt? Ich dachte daran, Mama anzurufen, aber ich hatte Angst, sie würde es nicht wissen oder, schlimmer noch, etwas sagen, was mich nur noch mehr aufregen würde.
Papa rief immer wieder an. Und jedes Mal, wenn ich antwortete, klang seine Stimme drängend, aber kurz angebunden. Er erklärte es nicht. Er wiederholte nur dieselben Worte. Bleib, wo bist du, Emily. Bitte beweg dich nicht, bis ich dir sage, dass es sicher ist. Ich fühlte mich zwischen zwei Möglichkeiten hin- und hergerissen. Einerseits wollte ich mich wenden und direkt nach Hause fahren, nur um zu beweisen, dass alles in Ordnung war.
Ich hasste es, mich hilflos zu fühlen. Ein anderer Teil von mir erinnerte sich an all die Male, als sich der Instinkt meines Vaters als richtig erwiesen hatte. Einmal hatte er mich Sekunden vor dem Blitzeinschlag aus einem See gezogen. Einmal hatte er unsere Familie daran gehindert, in ein Auto einzusteigen, von dem er schwörte, dass es nicht für uns geeignet sei. Und dann erfuhren wir, dass die Bremsen versagt hatten.
Er hatte schon immer ein Gespür dafür, Gefahren zu wittern, bevor sie auftauchten. Aber das hier war anders. Das hier war mein Zuhause. Und wenn drinnen etwas passierte, musste ich es wissen. Ich stellte den Motor ab und setzte mich in das schwache Licht der Tankstellenlichter. Mein Spiegelbild in der Windschutzscheibe zeigte mich blass und zitternd. Ich hatte mit Patienten gearbeitet, die in Krisensituationen ins Krankenhaus kamen, aber ich hätte nie gedacht, dass ich jemals solche Angst um mein Leben haben würde.
Mein Handy vibrierte wieder, und ich antwortete: „Papa, du machst mir Angst. Bitte sag mir, was los ist.“ Stille. Dann kam seine Stimme zurück. Sanft, aber bestimmt. „Emily, hör mir zu. Wenn du in das Haus gehst, weiß ich nicht, ob ich dich wiedersehe. Bleib da. Die Polizei ist unterwegs.“ Ich hatte ein flaues Gefühl im Magen. Mein eigenes Zuhause. Mein sicherer Ort.
Ich schaute auf die Straße, in der ich wohnte. Sie war so still, so normal. Doch die Art, wie er diese Worte sagte, gab mir das Gefühl, als würde bereits ein Schatten vor meiner Tür warten. Minuten dehnten sich wie Stunden. Jedes Geräusch um mich herum jagte mir einen Schauer über den Rücken. Das Summen eines Tankstellenschilds. Das entfernte Bellen eines Hundes.
Die Scheinwerfer von vorbeifahrenden Autos schienen sich zu langsam zu bewegen. Ich überlegte, auszusteigen und näher heranzugehen, um zu sehen, was los war. Doch ich konnte das Bild der vor Angst brüchigen Stimme meines Vaters nicht abschütteln. Dann hörte ich es, das leise, walartige Dröhnen von Sirenen. Zuerst war es nur ein Summen, doch es wurde lauter, bis der Klang die Nacht erfüllte.
Ich saß wie angewurzelt da, als die Polizeiwagen an der Tankstelle vorbeirasten und direkt in meine Straße einbogen. Ihre roten und blauen Lichter durchschnitten die Dunkelheit, spiegelten sich in den Häusern und hüllten die ruhige Nachbarschaft in Chaos. Mein Herz klopfte so heftig, dass ich dachte, es würde platzen. Ich griff erneut nach dem Telefon. „Papa, die Polizei ist da.“
Was ist los? Bitte, ich ertrage es nicht. Er antwortete schnell, sein Ton ruhig, aber jetzt bedrückt. „Emily, ich erkläre es dir gleich. Im Moment muss es nur deine Sicherheit sein. Das ist alles, was zählt. Vertrau mir.“ Mir stiegen Tränen in die Augen. Vertrau ihm. Ich hatte sie schon immer, aber was konnte so schlimm sein, dass ich nicht einmal mein eigenes Haus betreten durfte? Aus einiger Entfernung beobachtete ich, wie weitere Polizeiautos vorfuhren.
Polizisten kamen aus ihren Häusern, manche mit Taschenlampen, andere mit gezogenen Waffen. Sie bewegten sich in Formation, ihre Stiefel trommelten auf dem Bürgersteig, ihre Funkgeräte summten mit brüchigen Stimmen. Meine Nachbarschaft, die ich immer für sicher gehalten hatte, sah aus wie ein Tatort. Ich wollte zu ihnen rennen und Antworten verlangen, um die Situation unter Kontrolle zu bringen, aber ich konnte nicht.
Meine Hände zitterten am Lenkrad. Ich fühlte mich klein und hilflos. Der Gedanke, dass mich in diesem Haus etwas verletzt haben könnte, jagte mir einen Schauer über den Rücken. Mein Vater wusste es. Irgendwie wusste er es schon, bevor ich in die Einfahrt einbog. Als ich im Auto saß und aus der Ferne zusah, dämmerte mir die Wahrheit.
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