Ich heiratete Javier, den jüngsten Sohn einer wohlhabenden Familie in Madrid.
An unserem Hochzeitstag sagten mir alle, wie viel Glück ich hatte: „Ihr Mann ist gut und Ihre Schwiegermutter ist kultiviert und stammt aus einer angesehenen Familie.“ Aber nur ich wusste, dass der Eintritt in dieses prächtige Haus den Eintritt in eine Welt strengerer Regeln und wachsamer Augen bedeutete.
Kurz nach unserer Hochzeit starb mein Schwiegervater, und meine Schwiegermutter, Doña Teresa, wurde krank. Da Javier außerhalb der Stadt arbeitete, lag alles – Mahlzeiten, Medikamente, schlaflose Nächte – in meiner Verantwortung.
Manchmal murmelte sie in der Nacht, wenn sie sich vor Schmerzen meldete:
„Marina …“
Egal wie erschöpft ich war, ich stehe sofort auf.
So vergingen acht Jahre.
Acht lange Jahre, in denen ich meine eigenen Träume völlig vergaß.
Meine Freunde eröffneten Boutiquen, gründeten Familien, bereisten die Welt …
und ich spürte nur den Geruch von Suppe, das Zischen der Sauerstoffflaschen und die schwere Stille in der Dunkelheit.
Aber ich habe mich nie beschwert. Ich war immer davon überzeugt, dass Güte immer belohnt wird.
Als Doña Teresa endlich starb, fiel ich an ihrem Bett auf die Knie und schluchzte hemmungslos.
Ich organisierte die Beerdigung, begrüßte jeden Gast, putzte jeden Winkel des Hauses – ich habe mein ganzes Herzblut hineingesteckt.
Dann kam der Anwalt, um das Testament zu lesen.
Das gesamte Erbe – die Wohnung in der Innenstadt, die Ersparnisse, das Landgut – wurde unter den beiden Söhnen aufgeteilt.
Keine einzige Erwähnung meiner Person.
Kein Wort des Dankes für acht Jahre Fürsorge und Hingabe.
Ich stehe wie gelähmt mitten im Wohnzimmer, die Luft war erfüllt von Geflüster:
„Nun, sie ist nur eine Schwiegertochter … was hat sie erwartet?“
In dieser Nacht begann ich leise, meine Sachen zu packen.
Doch als ich den Schrank öffnete, um meinen Mantel herauszuholen, fand ich tief in einer Schublade einen Umschlag.
Auf der Vorderseite steht in zarter Handschrift:
„Für Marina – ich nicht mehr hier bin.“