Als wir den Bergpfad höher hinaufstiegen, stießen mein Sohn und meine Schwiegertochter meinen Mann und mich plötzlich in den Abgrund. Fassungslos und am Boden zerstört lag ich regungslos da, während mein Mann flüsterte: „Bleib liegen …“ Dann war es vorbei.

Die Frage quälte mich mehr als der Schmerz.

Als es endlich dämmerte, kroch das Licht über das Tal, als wäre ein Geheimnis gelüftet worden. Ich hörte das leise Summen eines Autos auf einer entfernten Straße – so weit weg, dass es genauso gut in einer anderen Welt hätte sein können.

Michaels Zustand verschlechterte sich. Seine Lippen waren blass und sein Atem ging schwer.

„Schlaf nicht“, sagte ich und schüttelte ihn sanft.

Er lächelte leicht. „Du machst dir immer zu viele Sorgen.“

Stunden vergingen, bis ich über mir eine Bewegung bemerkte – die orangefarbene Weste eines Parkrangers. Ich schrie, bis mir die Kehle brannte. Die Gestalt blieb stehen, drehte sich um und rief etwas. Innerhalb weniger Minuten war Hilfe unterwegs.

Wir wurden mit dem Hubschrauber transportiert, unsere Körper waren zwar gebrochen, aber am Leben. Ich dachte, das Überleben wäre das Ende des Albtraums. Das war es nicht. Es war der Anfang.

Die Ermittler trafen im Krankenhaus ein. Ich erzählte ihnen alles – den Stoß, die Stimmen. Doch die Beweislage war dürftig. Keine Fingerabdrücke, keine Zeugen. Ethan und Clara behaupteten, wir seien ausgerutscht. „Es war ein schrecklicher Unfall“, sagten sie mit ernster Miene und falteten die Hände wie Trauernde.

Doch als der Detektiv mich ansah, sah ich Zögern in seinen Augen. Zweifel. Die Grenze zwischen Zufall und Absicht ist schmal, besonders wenn Blut im Spiel ist.

Michael wurde nach zwei Wochen entlassen. Ich blieb länger. Die körperlichen Wunden heilten. Der Verrat jedoch nicht.

Monate vergingen. Die Ermittlungen gerieten ins Stocken. Es gab nicht genügend Beweise für eine Anklage. Ethan und Clara besuchten mich einmal mit höflichem, geübtem Lächeln. Ich lehnte ab.

Aber ich bin noch nicht fertig.

Ich begann, mir Notizen zu machen – Daten, Details, Gesprächsfetzen, die ich mitgehört hatte. Ich beauftragte einen Privatdetektiv, einen ruhigen Mann namens Reynolds, der früher bei der Mordkommission gearbeitet hatte. Er war zunächst skeptisch. Dann, zwei Wochen später, rief er an.

„Ihr Sohn hat Geld verprasst“, sagte er. „Lebensversicherungen. Ihre und die Ihres Mannes. Er ist der Begünstigte.“

Es fühlte sich an wie ein weiterer Sturz – kälter, tiefer.

Die Police war erst wenige Monate vor dem „Unfall“ aktualisiert worden. Gefälschte Unterschriften, sorgfältig erstellt. Ethan arbeitete im Finanzwesen. Er wusste, wie man die Unterlagen lügen ließ.

Reynolds sammelte sorgfältig und methodisch Beweise. Banküberweisungen. E-Mail-Verläufe. Sogar eine SMS von Clara an Ethan: „Nach all dem können wir endlich neu anfangen.“

Die Polizei rollte den Fall wieder auf. Diesmal hörte sie zu.

Ethan wurde in seinem Büro in Denver verhaftet. Clara stellte sich zwei Tage später der Polizei. Beide stritten alles ab und behaupteten, es sei ein Missverständnis, ein Zufall gewesen. Der Anflug von Gier war jedoch deutlich genug, um die Jury zu überzeugen.

Während des Prozesses hörte ich mir jede Aussage, jedes Foto und jede Wiederholung dieses schrecklichen Tages an. Als Ethan das Podium betrat, sah er mich zum ersten Mal seit Monaten wieder an. Seine Augen waren leer.

„Mama“, sagte er leise, „du verstehst das nicht.“

„Du hast recht“, flüsterte ich. „Das werde ich nie tun.“

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