* Bei der Beerdigung meiner Zwillinge sagte meine Schwiegermutter: „Gott hat sie zu sich genommen, weil er wusste, was für eine Mutter sie hatten“ …

Sie zog ein altes Handy aus meiner kleinen Handtasche, das ich ihr einmal zum Spielen gegeben hatte. Der Bildschirm blinkte. Ich sah, wie sie darin blätterte, es anstarrte und etwas auswählte.

„Ich habe ein Foto gemacht“, sagte sie. „Hier ist es.“ Sie hielten ihr Handy hoch und schon von weitem erkannte ich unsere Küche.

Flaschen auf einem Handtuch, eine weiße Marmorarbeitsplatte, eine Schwiegermutter im schwarzen Anzug, die über den Tisch gebeugt ist. Auf einem Foto hält sie ein Glas mit einem kleingedruckten Etikett in der Hand. Auf einem anderen schüttet sie Pulver in einen Esslöffel.

Am dritten Tag schüttelt sie den durchsichtigen Plastikbehälter und gibt weißen Milchschaum frei. Das Flüstern wird zu Summen. Mein Mann macht einen Schritt, dann noch einen – seine Lippen bewegen sich. Entweder ist das unmöglich, oder du gibst es mir.

„Mir wurde schwindelig. Papa hielt mich am Ellbogen fest, damit ich nicht umfiel. Sie schliefen ein und wachten nie wieder auf“, sagte die Tochter ruhig, als würde sie ein Gedicht aufsagen.

Oma sagte, es sei ein wahrer Traum. Dass ruhige Kinder gesunde Kinder seien. Und sie sagte auch, dass Mama das Gleiche lernen sollte.

Meine Schwiegermutter fand ihre Stimme wieder und warf sie in den Flur. Es war ein Beruhigungsmittel. Nur ein bisschen. Man kann nicht jedes Mal zu den Kindern rennen, wenn sie kreischen.

Ich half. Ich wollte das Beste für mich tun. Mein Vater zückte bereits sein Handy.

Mama. Und wenn sie gestresst ist, wird ihre Stimme plötzlich ruhig. Polizei? Ja.

Jemand stand auf, jemand setzte sich wieder. Mehrere Verwandte bekreuzigten sich verzweifelt. Mein Mann stand wie gelähmt da, als wäre all sein optimistisches Vertrauen zu Asche geworden.

„Hast du das schon mal gesehen?“, fragte der Ehemann schließlich seine Tochter. Ja, sie nickte. Mehrmals.

Und ich habe es aufgeschrieben. Damit ich es nicht vergesse. Falls mir niemand glaubt.

Du, Schwiegermutter, hast mich angesehen. Alles brodelte in ihnen: Angst, Hass, Groll gegen die Welt, weil sie es wagte, ungehorsam zu sein. Du hast all das verursacht.

Du hast das Kind gegen mich aufgebracht. Genug, Mama, sagte mein Mann mit plötzlich heiserer Stimme. Genug.

Der Lärm wurde lauter. Das Klirren eines fallenden Armbands, das Rascheln von Kleidern, das leise Weinen eines Kindes aus einer entfernten Reihe. Jemand hatte das Baby gebracht und vergrub nun sein Gesicht an seiner Brust.

Vor der Tür heulte kurz eine Sirene. Mein Vater nickte: „Hier entlang, bitte.“ Ich ging zu meiner Tochter.

Die Leute gingen auseinander, ohne sich in die Augen zu sehen. Manche schauten weg, andere versteckten ihre Handys, und wieder andere filmten ganz offen und ohne Scham. Ich legte meine Hand auf die Schulter des Mädchens.

Es war heiß, hart wie Stein, von den Wellen umspült und von der Sonne getrocknet. „Ich bin hier“, sagte ich. Als die Tür aufging und uniformierte Gestalten den Raum betraten, nicht auf dem Weg zu einem anderen Ort, sondern hierher, zu diesen beiden weißen Kisten, zu unseren Namen, zu unserem Schmerz, betete oder flehte ich nicht. Ich sah einfach zu, wie die Welt, zerbrochen, sich wieder aufzubauen begann, entlang der Linien, die meine Tochter mit ihrer kleinen, sturen Hand gezeichnet hatte.

Dann gab es Fragen, Berichte, weitere Autopsieberichte. Tests, noch mehr Tests. Dann schimpften sie wieder mit mir, diesmal nicht laut, sondern mit ihren Augen, für das, was ich nicht gesehen hatte, was mir nicht aufgefallen war.

Doch in diesem Moment, zwischen Sirene und Flüstern, zwischen Lüge und Beweis, wusste ich eines: Die Wahrheit war mit meiner Tochter in den Raum gekommen. Und jetzt konnte man sie nicht mehr hinauswerfen. Und meine Schwiegermutter, die eben noch davon überzeugt war, dass die richtigen Worte immer lauter sprechen als die Fakten, stand da, presste die Finger auf ihre Perlen, als könnte sie ihre Angst mit einem Faden erwürgen, und wiederholte nur: „Ich habe geholfen.“

Ich habe geholfen. Ich wollte nur, dass alles in Ordnung ist. Sie wollte immer Ordnung …

Schweigen. Gehorsam. Und dann wurde die Stille im Flur so dicht, dass man das Vibrieren des Telefons in der Tasche und das Knistern eines Kerzendochts hören konnte.

Ich sah meinen Mann an. Er betrachtete die Fotos, unsere Küche, seine Muster, die Hand seiner Mutter. Sein Anzug hing an seinen Schultern, als wäre er geschrumpft, als hätte er zum ersten Mal verstanden, dass Kleidung ihre Form verlieren kann, wenn innen Hohlraum ist.

„Papa“, rief seine Tochter leise, „ich lüge nicht.“ Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder und nickte. Einmal, zweimal.

Mir fehlten die Worte. Manchmal ist Schweigen Feigheit. Manchmal ist es ein Schuldeingeständnis.

Die Sirene verstummte. Die Türen schlossen sich. Und was passieren würde, begann.

Fragen, Namen, Daten. Und hinter jeder Frage flackerte ein Hoffnungsschimmer auf: Nein, es war kein plötzlicher Kindstod. Nein, so funktioniert das nicht.

Nein, Gott hat sie nicht zu sich genommen. Jede Nadel hat einen Faden. Und während jemand anders versucht, die Enden zu verstecken, hält meine Tochter das andere Ende bereits in ihrer kleinen Hand.

Und es lässt mich nicht los. Vor drei Monaten schien mein Leben nahezu perfekt. Ein Haus in einem ruhigen Vorort, weiße Fensterläden, ein Kinderzimmer mit blauen Wolken an der Decke, eine Schaukel im Garten.

Nach fünf Jahren des Wartens und Dutzenden negativen Schwangerschaftstests hielt ich endlich Zwillinge in meinen Armen. Zwei kleine Schätze, die all die schmerzhafte Zeit des Zweifels und der Arztbesuche wert waren. Als ich sie zum ersten Mal zusammen sah, nebeneinander in durchsichtigen Plastikwiegen liegend, sank mir das Herz.

Mein Mann weinte, als er unsere Söhne an seine Brust drückte. Sogar meine Schwiegermutter wirkte sanfter, lächelte und streichelte ihre Wangen. Sie bemerkte immer wieder beiläufig, dass echte Frauen ohne Betäubung gebären, was meine Freude trübte. Doch in diesem Moment ignorierte ich ihren Sarkasmus.

Ich war bereit, alles zu verzeihen, solange unsere Jungs gesund aufwuchsen. Die ersten Wochen waren nicht einfach. Ich lernte, den einen zu stillen, während ich den anderen mit seinem Bein in der Wiege wiegte.

Ich arbeitete direkt am Küchentisch an meinem Laptop und beantwortete zwischen den Mahlzeiten Kundenanfragen. Ich dachte, ich käme gut zurecht, auch wenn ich manchmal in meinen Klamotten einschlief. Doch dann kam meine Schwiegermutter nach Hause und mit ihr kam das Gefühl, ich könne nichts tun.

Drei Kinder und ein Job? Bist du bei Verstand?, schalt sie ihn. „Du brauchst Hilfe. Ich komme.“

Ich versuchte, sie davon zu überzeugen, dass wir alles unter Kontrolle hätten, dass Tanja, unsere älteste Tochter, ihre Hausaufgaben selbst machte und half und dass ich sie nicht um Hilfe gebeten hatte. Aber mein Mann, müde von seinen Geschäftsreisen, unterstützte Mama sofort. Lass Mama bleiben.

Für dich ist es einfacher. Und so begannen ihre Schichten am Dienstag und Donnerstag. Sie kam pünktlich um acht Uhr morgens, schloss die Tür auf und führte das Haus, als wäre es ihr eigenes.

Sie räumte Gläschen mit Babynahrung um, sortierte Kleidung und wechselte Töpfe und Pfannen. Als ich protestierte, war ihr Blick so hochmütig, dass mir die Worte im Hals stecken blieben. Mit jedem Besuch spürte ich mehr und mehr, dass sie mir nicht nur half, sondern mich auch auf die Probe stellte.

Ihr Blick, ihre Betonung, ihre Kommentare. Jedes Wort, das sie sprach, vermittelte den Gedanken: Du bist keine Mutter, es sollte dir eigentlich egal sein. Manchmal hatte sie das Gefühl, sie müsse ihrem Sohn etwas beweisen.

Als wäre meine Niederlage ihr persönlicher Sieg. Er hatte zu lange unter ihrer Kontrolle gelebt, und nun konnte sie nicht akzeptieren, dass sein Leben einer anderen Frau gehörte. Und das Schlimmste war, dass sie Zugang zu den Medikamenten ihres Mannes hatte …

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