„Besser als was?“ Die Maske der Gleichgültigkeit fiel für einen Moment und gab etwas Hässliches und Giftiges frei. „Besser als der Realität ins Auge zu sehen? Du hast 45 Jahre lang deine Mutter die Unterhaltung spielen lassen, während du einfach nur existiert hast. Selbst sie wusste, dass du zu nichts zu gebrauchen warst.“
Die Worte trafen mich wie Schläge, jede Silbe ein Hammerschlag ins Herz. Sinnlos. Erbärmlich. Ich krallte mich so fest ans Geländer, dass meine Knöchel weiß wurden, als Nachbarn, angelockt vom Lärm, an ihren Fenstern zusammenkamen. Mrs. Patterson, Gott hab sie selig, erschien auf der Veranda, ihr Gesicht vor Sorge verzerrt, aber ich konnte ihr nicht in die Augen sehen. Ich schämte mich zu sehr.
„Pack deine Sachen und verschwinde“, fuhr Bradley fort, seine Stimme wurde lauter, angetrieben von selbstgefälliger Wut. „Ich reiße diesen Laden auseinander und mache etwas wirklich Wertvolles daraus, ganz anders als den Schrott, den du und Mama angesammelt habt.“ Er deutete scharf auf das Wohnzimmer, auf dieselben Möbel, die wir jahrzehntelang geteilt hatten, auf dieselben Erinnerungen, die wir gemeinsam geschaffen hatten. „Wollt ihr woanders hin? Geht doch in Mamas jämmerliche Galerie, wo sie jahrzehntelang versucht hat, kultiviert zu wirken.“
„Was für ein Mann lässt seine Frau Künstlerin spielen, ohne dass sie etwas erreicht?“, Bradleys Stimme wurde lauter und hallte über den gepflegten Rasen. „Du bist 71, pleite und erbärmlich. Mama wusste das. Deshalb hat sie dich wertlosen Kram hinterlassen und mir alles gegeben, was wirklich zählt.“
Mein Koffer, ohnehin schon unerträglich schwer von den Überbleibseln der Vergangenheit, fühlte sich nun noch schwerer an, erdrückt von der Grausamkeit seiner Worte. Ich ging zur Tür, jeder Schritt ein Beweis meines Scheiterns. „Nimm die amateurhaften Bilder deiner toten Frau und such dir ein anderes Problem!“, rief Bradley mir nach, sein spöttisches Lachen begleitete mich die Auffahrt hinauf. „Vielleicht kannst du dich ja in ihrer muffigen Hütte einnisten. Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, was du dort außer Verrotten tun würdest.“
Die Nachbarn sahen entsetzt und schweigend zu, ihre mitleidigen Blicke brannten mir im Rücken. Ich stieg in meinen alten Toyota, der Motor stotterte, und fuhr fort von dem einzigen Zuhause, das Maggie und ich je gekannt hatten.
Zwanzig Minuten später stand ich vor einem Gebäude, das mir in all den Jahren unserer Beziehung kaum aufgefallen war. „Maggies Kunstecke“, verkündete das verblasste Schild, dessen Farbe von der abgenutzten Holzfassade abblätterte. Das Gebäude sah genauso aus, wie Bradley es beschrieben hatte: verlassen, vergessen, völlig wertlos. Die Fenster waren dick mit Schmutz bedeckt und versperrten jeden Blick ins Innere. Unkraut sprossen durch Risse im Fundament. Der Türknauf war rostig, das Schloss schwergängig. Alles an diesem Ort strahlte Vernachlässigung, Verfall, einen vergessenen Traum aus.
Ich fummelte an dem rostigen Schlüssel herum, den mir mein Anwalt gegeben hatte. Meine Hände zitterten vor Sehnsucht nach mehr als nur der kalten Herbstluft. Das war mein Erbe, das heruntergekommene Häuschen, das mein Sohn als wertlos verspottet hatte. Nach 45 Jahren Ehe, nach der Erziehung meines Sohnes, nach einem Leben voller Arbeit, Liebe und Hoffnung war dies alles, was mir geblieben war. Der Schlüssel ließ sich schwerer drehen als erwartet, der Rost blätterte ab, und das alte Schloss gab schließlich mit einem knarrenden Geräusch nach. Ich wappnete mich für den Geruch von Schimmel und Verfall, den Bradley mir prophezeit hatte, für das dumpfe Geräusch von Mäusen, die aus ihren Nestern aufgescheucht wurden, für die endgültige Bestätigung meiner völligen Nutzlosigkeit.
Die Tür knarrte in den Angeln, die eigentlich vor Vernachlässigung festgerostet sein sollten. Doch als sie sich öffnete, erstarrte ich. Der Innenraum war völlig anders als erwartet. Statt des muffigen, verlassenen Raumes, den Bradley beschrieben hatte, sah ich ein sauberes, ordentliches Zimmer. Die Luft roch nicht nach Verwesung. Stattdessen lag ein leichter, angenehmer Duft von Zitronenöl in der Luft, und etwas anderes, das ich nicht genau einordnen konnte – etwas Frisches, wie zarter Lavendel.
Ich trat ein, meine Augen gewöhnten sich langsam an das dämmrige Licht, das durch die schmutzigen Fenster fiel. Der Holzboden unter meinen Füßen war poliert und unberührt von Feuchtigkeit. An den Wänden sah ich, was wie Gemälde aussah, jedes sorgfältig mit einer sauberen, weißen Leinwand bedeckt. Professionelle Staffeleien standen in regelmäßigen Abständen, und an der Decke war eine Schienenbeleuchtung installiert – moderne Leuchten, die es zur Bauzeit dieses Hauses definitiv noch nicht gab.
„Was zum Teufel?“, flüsterte ich in die Leere, meine Stimme heiser vor Ungläubigkeit. Das war nicht das von Mäusen verseuchte Loch, das mein Sohn beschrieben hatte. Jemand hatte sich um diesen Ort gekümmert. Vor nicht allzu langer Zeit.
Ich betrat den Raum tiefer, meine Schritte hallten leise wider. In der Ecke stand ein kleines Büro mit Schreibtisch, Aktenschrank und einem bequemen Stuhl. Der Schreibtisch war staubfrei, und die Papiere waren ordentlich gestapelt. Neben einer kleinen Lampe stand eine Kaffeetasse, noch leicht fleckig, als wäre jemand kurz weggegangen. Die Wände selbst erzählten eine andere Geschichte als die Fassade. Sie waren in einem warmen, cremigen Farbton gestrichen, und die Beleuchtung schuf eine fast galerieartige, ja professionelle Atmosphäre. Von der Decke summten leise die Lüfter der Klimaanlage. Jemand hatte eine ordentliche Heizungs- und Klimaanlage installiert.
Ich näherte mich einem der abgedeckten Gemälde und hielt meine Hand über die Leinwand. Die Abdeckung selbst wirkte hochwertig, kein altes Laken, sondern ein gutes Konservierungstuch. Alles an diesem Ort zeugte von Sorgfalt, Absicht und der Gewissheit, dass jemand sein Handwerk verstand. Doch Maggie erwähnte nie die Instandhaltung des Raumes. In all unseren Gesprächen über ihre „Kunstecke“ beschrieb sie ihn als ungezwungenen Hobbyraum, in dem sie malte und nachdachte, einen staubigen Zufluchtsort vor der Welt. Professionelle Beleuchtung, Klimaanlage oder Abdeckungen in Konservierungsqualität erwähnte sie mit keinem Wort.
Ich entdeckte eine kleine Küchenzeile in einer anderen Ecke. Sie bestand nur aus einem Minikühlschrank, einer Mikrowelle und einer Kaffeemaschine, die aber alle recht frisch aussahen. In der Kaffeemaschine war noch Wasser. Im Kühlschrank fand ich Wasserflaschen und ein paar Energieriegel, die noch einige Monate haltbar waren. Jemand war also vor Kurzem regelmäßig hier gewesen.
Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag, sie raubte mir den Atem. Maggie. Es musste Maggie sein. Aber wann? Wie? Sie war schon Monate vor ihrem Tod krank gewesen, kaum in der Lage, die Treppe in unserem Haus hinaufzusteigen, geschweige denn quer durch die Stadt zu fahren, um ihr geheimes Atelier zu besuchen. Und doch waren die Beweise unübersehbar. Jede Oberfläche wies Spuren frischer Pflege auf. Die Böden glänzten frisch poliert. Die Bilder an den Wänden waren mit museumsartiger Präzision arrangiert. Selbst die Fenster, außen schmutzig, waren von innen geputzt worden und ließen mehr Licht herein, als angesichts ihres Zustands möglich gewesen wäre.
Ich sank überwältigt in meinen Bürostuhl. Vor drei Wochen hatte ich meine Frau, mit der ich 45 Jahre verheiratet war, beerdigt, in dem Glauben, alles über sie gewusst zu haben. Gestern erfuhr ich, dass sie mir ein scheinbar wertloses Gebäude hinterlassen hatte. Heute Morgen warf mich mein Sohn aus meinem eigenen Haus und nannte es einen muffigen Schuppen, in dem Maggie Jahrzehnte vergeudet hatte. Aber Bradley hatte sich geirrt. Es war nicht verlassen. Es war nicht wertlos. Jemand – Maggie – hatte sich um diesen Ort gekümmert, mit der Sorgfalt, die man etwas Kostbarem, etwas Wichtigem, etwas innig Geliebtem entgegenbringt.
Ich blickte mich in dem makellosen Zimmer um, auf die verhüllten Gemälde, die wie Geheimnisse warteten, auf die unwiderlegbaren Beweise für das verborgene Leben meiner Frau, und spürte zum ersten Mal etwas, das ich seit ihrer Beerdigung nicht mehr empfunden hatte: Hoffnung. Was tat meine Maggie hier, und warum verbarg sie es vor mir? Ich vermutete, die Antworten lagen unter diesen sorgfältig drapierten Decken.
Meine Hände zitterten, als ich mich dem ersten verdeckten Gemälde näherte. Die Konservierungsplane ließ sich leicht beiseite schieben und gab den Blick auf ein Bild frei, das mir den Atem raubte. Blumen. Zarte, sinnliche Blumen, gemalt in einem Stil, den ich sofort wiedererkannte. Unten rechts signiert: G. O’Keeffe. Georgia O’Keeffe. Ich hatte ihre Werke in Museen und in Bildbänden gesehen, die Maggie so liebte. Aber das konnte doch nicht wahr sein, oder? Mir schwirrte der Kopf.
Ich wandte mich dem nächsten Bild zu und schob den Einband mit wachsender Begeisterung beiseite. Eine Illustration von Norman Rockwell, wie sie die Titelseiten des Saturday Evening Post zierte. Die Pinselstriche waren exquisit, die Details unglaublich. Die Bildunterschrift wirkte authentisch, nicht wie eine Reproduktion. „Das ist unmöglich“, flüsterte ich kaum hörbar.
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