
Maria stand still und hielt das Foto in ihren Händen.
Ein paar Tage später klingelte das Telefon. Maria hatte nichts anderes erwartet, vor allem nicht von Stella, der Haushälterin. Doch es war ihre Stimme, jetzt ruhiger, irgendwie weniger arrogant.
„Können Sie morgen wiederkommen?“ „Ich möchte reden“, sagte sie leise.
Am nächsten Tag erschien Maria am selben Tor. Diesmal nicht als Reinigungskraft, sondern als jemand, der eine Geschichte zu erzählen hatte. Stella wartete an der Tür. Ungeschminkt, ohne Schmuck und in einem einfachen Pullover.
„Kommen Sie bitte herein“, begann Stella, die im Sessel saß. „Diese Frau … Ist das Ihre Großmutter?“
Genau. Ihr Name war Sofia. Sie starb vor vielen Jahren. Sie zog mich groß, während meine Eltern arbeiteten. Das Medaillon gehörte ihr. Plötzlich verschwand es. Ich habe nie herausgefunden, was damit passiert ist.
Stella betrachtete das Medaillon in ihrer Hand.
Weißt du … meine Großmutter hieß auch Sofia. Sofia Lind. Wir lebten zusammen, bis ich zu Verwandten ins Ausland geschickt wurde. Danach verschwamm alles. Als meine Tante starb, erbte ich dieses Haus. Zu ihren Habseligkeiten gehörten dieses Medaillon und Fotos. Ich dachte, es wären Familienerbstücke, aber … ich habe sie nie angesehen.
Bedeutet das, dass wir … eine Familie sind?
„Sicher. Vielleicht Cousinen. Vielleicht sogar Stiefschwestern. Aber wir kommen definitiv aus derselben Familie.“
Beide Frauen verstummten. Einen Moment lang war im Wohnzimmer nur das leise Ticken der Uhr zu hören. Stella sah Maria direkt in die Augen.
„Entschuldige dich. Für alles. Für diese Worte. Das war ich … kalt, misstrauisch. Und du hast nur versucht, es herauszufinden.“
Von diesem Tag an änderte sich alles. Stella lud Maria zum Kaffee ein. Sie sprachen über die Vergangenheit, über Sofias Großmutter, über das Aufwachsen in verschiedenen Ländern und Familien, aber mit derselben Frau als Führerin.
Eines Tages beschlossen sie, gemeinsam in das Dorf zu reisen, in dem Sofia geboren wurde. Das Haus war verlassen, stand aber noch. Darin fanden sie mehrere verstaubte Alben, Kinderzeichnungen und ein altes Notizbuch – Sofias Tagebuch. Mit jeder Seite, mit jedem Eintrag wurde ihre Geschichte vollständiger.
Maria fand einen Brief in einer der Schubladen. Adressiert an „meine geliebte Enkelin“, stand darin kein Name. Doch die Worte waren einfach und aufrichtig. Es ging um Liebe, Kraft und Hoffnung.